Letztes Jahr im Mai, als ich mir im Urlaub eine Kirche anschauen wollte, geriet ich zufällig in eine Mai-Andacht.
„Meerstern, ich dich grüße“ – erschallte ein altes Kirchenlied. Darin heißt es:
Meerstern, ich dich grüße … Mutter Gottes, süße …
Rose ohne Dorne … du von Gott Erkorne …
Lilie ohne Gleichen … der die Engel weichen …
UFF!
Das musste ich erst mal sacken lassen. Soviel Anmut, Reinheit und Liebreiz, die mir da entgegen schlugen, können schon mal überfordern.
Zuhause machte ich mich dann auf die Suche nach Marienliedern und deren Texte. Und ich war sprachlos, ja sogar irritiert, wie viel poetische Süße und Lieblichkeit hier oft über Maria ausgegossen wird. Zumindest in den alten Liedtexten, denn modernere Lieder zur Gottesmutter sind sehr rar.
Ist das das Bild, das Frauenbild, mit dem ich mich identifizieren möchte?
Ist das die Frau, die im Monat Mai in der katholischen Kirche verehrt wird? So unschuldig und zart und rein und unantastbar?
Maria wird in der katholischen Kirche besonders im Monat Mai verehrt. Im Mai verwandelt der Frühling die Welt mit neuem Leben. Mit diesem Wunder des Frühlings wird Maria in Verbindung gebracht. Denn als Mutter von Jesus, der den Tod besiegt und Leben in Fülle gebracht hat, wird sie als Inbegriff des neuen Lebens gesehen. Und deshalb sprechen wir auch vom Marienmonat Mai.
Aber kehren wir zurück zu der Frage: Welches Bild habe ich eigentlich von Maria?
Mich beeindrucken vor allem zwei Szenen aus dem Leben Marias.
Da ist das bedingungslose JA, das sie spricht, als ihr die Aufgabe anvertraut wird, Mutter des erwarteten Messias zu sein. Sie überlegt nicht lange und zögert nicht, sie lotet nicht die Vor- und Nachteile aus. Und es hätte genügend verständliche Gründe für ein NEIN gegeben! Aber sie nimmt den Auftrag an. Ohne Wenn und Aber, ohne offene Hintertür, ohne gekreuzte Finger hinterm Rücken. Ihr JA ist ein JA, kein Ja-Aber, kein Wenn-Dann, sondern ein schlichtes und einfaches JA, das ihren ganzen Lebensplan auf den Kopf stellt.
Maria – eine Frau, die nicht zaudert, die ihre Zusage gibt und weiß, wann es gilt, die Stimme zu erheben und sich zur Verfügung zu stellen.
Ein paar Kapitel später erleben wir die schweigende Maria. Als die Hirten dem neugeborenen Jesus im Stall von Bethlehem huldigten und erzählten, was ihnen über dieses Kind gesagt worden war, heißt es von ihr: Maria aber bewahrte alle diese Worte in ihrem Herzen und dachte darüber nach. Keine eilige Antwort, kein vorschnelles Wort – erst einmal zuhören und ohne Bewertung annehmen. Versuchen, es mit dem Herzen zu verstehen, also mit Liebe zu betrachten.
Ja, mit diesen Beschreibungen von Maria kann ich etwas anfangen. Sie stellen mich infrage, rücken mir auf die Pelle. Sie fragen mich:
- Wann und wo ist mein bedingungsloses und eindeutiges JA gefragt?
- Warum fehlt mir so oft der Mut, mich auf Neues und Ungewohntes einzulassen?
- Und wo verhindere ich aus Feigheit und mit ängstlichem Zaudern, dass sich Leben entfalten kann?
Und andersherum:
- Kann ich mich zurücknehmen und schweigen, wenn alle losplappern, schwatzen und vorschnell ihre Gedanken preisgeben?
- Lasse ich Eindrücke erst mal in mein Herz, damit ich sie mit den Augen des Verstehens und der Liebe betrachten kann?
- Wo und wann braucht es meine Gelassenheit, damit Hochgekochtes zur Ruhe kommen kann?
Maria kann so viel mit unserem alltäglichen Leben zu tun haben. Wir müssen sie nur hin und wieder vom Sockel der Unantastbarkeit herunter holen und sie in unseren Alltag hineinlassen.
So würde aus der unbefleckten eine vom Alltag befleckte Maria.
Genau das beschreibt auch Karl Mittlinger in diesem kleinen Text:
Den
findigen
händlern
dein bild entreißen
den harmlosen
fabulierern
ins wort fallen
von
kerzenschweren
altären
dich ins leben befreien.
Vielleicht kann uns der Marienmonat Mai mit solchen Gedanken und Fragen die Gottesmutter nochmal auf ganz andere Weise näherbringen.
Bleiben Sie behütet!
Ihre Gisela Fritsche
Dekanatsreferentin