
Der Jahreswechsel ist schon ein merkwürdiger Moment: Einerseits läuft das Leben einfach weiter. Es ist ja nicht so, dass am 01.01. um 0:00 Uhr die Welt anhält und alles auf „reset“ gestellt wird. Andererseits liegt in diesen ersten Minuten des neuen Jahres doch ein eigenartiger Hauch von Neubeginn in der Luft und in unseren Herzen. Die guten Vorsätze, die in diesen Tagen beschlossen werden zeigen deutlich, wie sehr wir uns danach sehnen, dass wir hier und da noch mal von vorn beginnen können und eine neue Chance bekommen.
Neuanfänge haben mich schon immer fasziniert: die ersten Seiten, mit denen mich ein gutes Buch erwartet; ein stiller Sonnenaufgang, der einen neuen Tag verheißt; der erste unbeholfene Satz nach langem Schweigen …
Wer schon mal ein neugeborenes Baby in seinen Armen gehalten hat, weiß, wieviel Macht ein solcher Neuanfang über uns ausüben kann: Darin liegt unendlich viel Hoffnung, Unverbrauchtheit, Mut und die übergroße Sehnsucht, dass alles so gut bleibt, wie es genau in diesem Moment ist. Aber viel zu oft erfüllt sich diese Hoffnung nicht. Der Glanz des Neuen nutzt sich schnell ab und die Reinheit und Vollkommenheit des Beginns weichen den Gebrauchsspuren des Alltags. Die Realität hat uns wieder geerdet, auf den Boden der Tatsachen zurückgeholt. Vielleicht werden auch deshalb schon wenige Tage nach dem Jahreswechsel die guten Vorsätze wieder Bord geworfen.
Der Liedermacher Reinhard Mey hat das einmal sehr treffend beschrieben. In einem seiner Lieder singt er:
Kinder werden als Riesen geboren.
Doch mit jedem Tag, der dann erwacht,
geht ein Stück von ihrer Kraft verloren,
tun wir etwas, das sie kleiner macht.
Kinder versetzen solange Berge,
bis der Teufelskreis beginnt,
bis sie, wie wir erwachsene Zwerge,
endlich so klein wie wir Großen sind.
Kann es sein, dass wir mit den hoffnungsvollen Anfängen unseres Lebens manchmal genauso umgehen? Dass wir sie klein machen durch unsere Angst und die Niederlagen der Vergangenheit? Dass wir viel zu wenig Vertrauen in unsere neuen Möglichkeiten und die geschenkten Chancen investieren? Dass wir lieber zum grauen Einerlei zurückkehren, als den Glanz des Neubeginns zu beschützen und zu bewahren?
Ja, es ist schon so und vielleicht muss es so sein, dass irgendwann der Zauber des Anfangs verblasst und die Gewöhnung das Zepter übernimmt.
Und doch!, – ein Blick in die Bibel zeigt mir: Bei Gott ist immer ein neuer Anfang möglich. Nach der Sintflut schließt Gott mit Noah einen neuen Bund; Zachäus konnte sein Leben nach der Begegnung mit Jesus noch einmal neu beginnen; Petrus bekommt durch die dreifache Frage „Liebst du mich?“ die Chance, sein dreifaches Verleugnen wieder gut zu machen …
„Im Anfang war das Wort … und das Wort war Gott …“ – so heißt es im Johannes-Prolog (Joh 1,1). Gott ist ein Gott der Anfänge. Mit seinem Sohn Jesus Christus, der als Neugeborener in die Welt gekommen ist, hat er uns gezeigt, dass mit ihm jederzeit Neuanfänge möglich sind, wenn wir uns die Hoffnung und den Glauben daran bewahren.
Peter Kuzmic, ein evangelischer Theologe aus Slowenien sagt dazu: Hoffnung ist die Fähigkeit, die Musik der Zukunft zu hören.Glaube ist der Mut, in der Gegenwart danach zu tanzen.
In diesem Sinne wünsche ich Ihnen allen ein hoffnungsvolles und glaubensstarkes Jahr 2023!
Ihr Gisela Fritsche
Dekanatsreferentin