Sie saß im Park auf der Bank, einen dampfenden Kaffeebecher in der Hand und ließ sich, die Beine baumelnd, die Sonne aufs Gesicht scheinen. Anscheinend nahm sich die Hoffnung gerade eine Auszeit. „Was machst du hier?“ fragte ich. „Hast du nichts zu tun? Solltest du nicht bei den Menschen sein?“
„Ach, die Menschen! Die wollen mich doch gar nicht. Und deshalb habe ich beschlossen, zu streiken. Sollen sie doch sehen, wo sie ohne mich bleiben.“ Die Hoffnung bemühte sich sichtlich ein Gesicht aufzusetzen, das möglichst düster wirkte. Aber irgendwie gelang ihr das nicht so richtig, denn düster Drein-Schauen kann die Hoffnung nicht wirklich gut. Ich riss entsetzt die Augen auf. „Aber du kannst doch nicht ernsthaft streiken! Gerade jetzt in diesen Zeiten musst du dich doch ins Weltgeschehen mischen. Die Menschen brauchen dich doch mehr denn je!“
„Ach was! Das glaubst auch nur du. Mich haben die meisten doch schon aufgegeben, abgeschrieben, Haken dran. Wenn ich mich in die Verhandlungen der Politiker einmische und ihnen Gedanken von Frieden und Menschlichkeit ins Ohr flüstere, schieben sie mich zur Seite und rufen: Nicht kriegstüchtig! Wenn ich die jungen Menschen frage, wovon sie träumen und wofür sie sich einsetzen möchten, lächeln sie mich müde an und fragen: Wozu denn? Uns sieht ja sowieso niemand.“ Und wenn ich mich in kleinen Artikeln in die Medien schleichen will, streichen sie mich einfach weg, weil ich nicht aufregend genug bin.“
Etwas verwirrt und ratlos hörte ich der Hoffnung zu, die wirkte, als würde sie bei jedem Satz ein wenig kleiner. „Letzte Woche habe ich ein junges Paar besucht, dass ein Kind erwartet. Ich dachte: Die sind doch „guter Hoffnung“, die freuen sich bestimmt auf mich. Aber dann haben sie erzählt, wie lange sie schon verzweifelt nach einer größeren Wohnung suchen, dass das Geld vorne und hinten nicht reicht und dass die Angst so groß ist, als Eltern zu versagen. – Ach, sie wirkten so unendlich resigniert.“
Nachdenklich nippte die Hoffnung an ihrem Kaffeebecher und atmete tief und schwer. Irgendwie tat sie mir richtig leid, wie sie so dasaß, die Hoffnung – so hoffnungslos. „So geht das nicht weiter“, sagte ich entschieden. Und bevor sie irgendetwas dagegen unternehmen konnte, packte ich sie am Arm und zog sie von der Parkbank, stellte sie auf ihre Füße und nahm sie einfach mit.
„Was soll das? Wohin bringst du mich?“ Ich merkte, dass ihr das gar nicht gefiel, aber anscheinend war sie auch nicht in der Stimmung, sich gegen meine Entschiedenheit zur Wehr zu setzen. „Du musst mal wieder unter die Menschen“, sagte ich bestimmt und nachdrücklich. „Es ist an der Zeit, dass du dich auf die Suche machst nach dir selbst. Und du kannst dich nur dort spüren und wiederfinden, wo man auf dich wartet. Wo du gebraucht wirst.“
In den nächsten Tagen ließ ich die Hoffnung nicht aus den Augen. Ich nahm sie mit in mein nächstes Trauergespräch und suchte in ihrem Beisein nach neuen Perspektiven und Aussichten.
Ich nötigte sie, mit in den Kindergarten zu kommen und den Kleinen zuzusehen, wie diese im Sandkasten selbstvergessen und bedenkenlos fröhliche Zukunftsburgen bauten. Und sie musste sich im Flüchtlingstreff mit an den Tisch setzen, sich durch die reiche Vielfalt der landestypischen Speisen essen und erleben, wie friedlich und liebevoll die Menschen unterschiedlicher Sprachen, Hautfarben und Kulturen miteinander umgingen.
Als wir uns dann irgendwann wieder voneinander verabschiedet hatten und jeder seiner Wege ging, sah ich, wie die Hoffnung zurück in Richtung Parkbank ging, – dorthin, wo ich sie anfangs getroffen hatte. Sie wird sich doch nicht wieder in die Sonne setzen und weiter streiken! – dachte ich etwas enttäuscht.
Als ich am nächsten Tag wieder meine Runde durch den Park lief und an der Bank vorbei kam, lag dort ein Zettel. Darauf stand in bunten und kritzligen Buchstaben:
Bin wieder unter den Menschen.
Hab mich dort wiedergefunden.
DANKE!
Unterschrieben war die Nachricht nicht. Aber ich war mir sicher, von wem sie war.
In diesem Sinne:
Bleiben Sie behütet!
Ihre Gisela Fritsche
Dekanatsreferentin
