Wie oft hat er mich schon geärgert und zur Verzweiflung gebracht: der Löwenzahn!
Er sprießt im Garten genau an den Stellen, wo man ihn nicht haben will. Und man kann seine Wurzeln mühevoll noch so tief ausstechen, – irgendwie schafft diese Pflanze es immer wieder, sich in den Beeten und auf der Wiese genussvoll auszubreiten.
Und ausgerechnet diese Blume prangt in diesem Jahr auf den Osterkerzen in den Kirchen unseres Pastoralen Raumes. Mit Recht! Denn der Löwenzahn ist ein Hoffnungssymbol. Er zeugt von einer Hoffnung, die Widerstände überwindet und sogar stärker ist als Mauern und Beton. Ihm genügen die kleinsten Ritzen zwischen Pflaster- oder Mauersteinen, um sich zu entfalten und uns seine kraftvollen Blütensterne entgegenzustrecken. Bereits die ersten Sonnenstrahlen des Frühjahres locken diesen Lebensboten aus der Erde. Und selbst vom rauhen Nachtfrost lässt er sich nicht beeindrucken. Er ist ein Überlebenskünstler, – hartnäckig und widerstandsfähig. Er lässt sich nicht unterkriegen.
Auf meinem täglichen Weg zur Arbeitsstelle fahre ich jeden Morgen an großen Wiesenflächen und Straßenrändern vorbei, wo mir ein nicht enden wollendes Meer von leuchtendem Gelb entgegenstrahlt. Was für ein Genuss nach dem tristen Grau des Winters! – Endlich wieder Farbe, endlich wieder Leben!
Ein paar Wochen später ändert sich das Bild: Wo sich vorher dicht an dicht die prachtvollen Blüten aneinander reihten, sind jetzt hunderte puschelig-weiche Kugeln. Tausende und abertausende zarte Samen-Schirmchen warten darauf, dass der Wind sie fortträgt, um irgendwo zu landen, zu wurzeln und zu wachsen.
Und gelingt dies, beginnt der Kreis von vorne: Es entsteht eine neue Pflanze, die ihre Wurzeln tief in die Erde gräbt, sich im Boden verankert und nach den Quellen seiner Kraft gräbt. Wasser und Nährstoffe – der Löwenzahn findet es schon. Und wenn es in den Ritzen zwischen den Pflastersteinen ist.
Tiefe Wurzeln haben und fest stehen. Zugang zu den Quellen meiner Kraft haben, – das wünsche ich mir auch. Manchmal muss ich Platz dafür schaffen. Mein Alltag ist zugepflastert mit Anforderungen, Sorgen, Gedanken … Ich will mir Zeit nehmen, mich auf meine Wurzeln zu besinnen, auf all das, was das Leben mir geschenkt hat, was mich stark macht und mir Kraft gibt.
Ich will mich besinnen auf das Geheimnis von Ostern:
auf die Kraft, die Grenzen sprengt,
auf das Wunder der Verwandlung,
auf den Auftrag, in die Welt zu gehen und die Vision von erfülltem Leben zu verkünden.
Wenn Hoffnung eine Pflanze wäre, dann wäre sie ein Löwenzahn. Weil es das Wesen der Hoffnung ist, dass sie sich nicht so leicht ausmerzen lässt. Und wenn nur ein kleiner Rest übrig bleibt, dann hat dieser Rest das Potenzial, sich wieder voll zu entfalten.
In ihrem sehr kraftvollen Song mit dem Titel „Löwenzahn“ beschreibt Antoinette Lühmann genau diese Hoffnung. Darin heißt es:
Trümmer auf der Straße, der Staub hängt in der Luft.
Waffen in den Armen und zwischen uns die Kluft.
Besen und Schaufel, die reichen längst nicht mehr.
Die Hände sind taub, mein Herz tonnenschwer.
Und dann wächst Löwenzahn, zwischen Asphalt und Streit.
Löwenzahn. Und dann kommt mit der Zeit,
Löwenzahn, wieder Leben ans Licht.
Löwenzahn.
Schreie zwischen Häusern, die Bretter vor der Stirn.
Grölen der Parolen ganz ohne Herz und Hirn.
Ewiger Gleichschritt dröhnt durch das Häusermeer.
Voll Wut und mit Angst schau ich hinterher.
Und dann wächst Löwenzahn, zwischen Asphalt und Streit.
Löwenzahn. Und dann kommt mit der Zeit,
Löwenzahn, wieder Leben ans Licht.
Löwenzahn.
Streue Blumensamen! Wirf Lichter in die Nacht!
Tanze auf den Mauern, bis neuer Morgen lacht.
Reiß große Löcher in all das dicke Fell.
Sing dein eig’nes Lied, die Sterne sind hell.
Und dann wächst Löwenzahn, zwischen Asphalt und Streit.
Löwenzahn. Und dann kommt mit der Zeit,
Löwenzahn, wieder Leben ans Licht.
Löwenzahn.
„Streue Blumensamen! Wirf Lichter in die Nacht!“, – diese Aufforderung möchte ich in den nächsten Wochen ernst nehmen. Ich möchte Hoffnung verbreiten und Hoffnung in die Welt pusten im Vertrauen, dass sie Wurzeln schlägt und wächst, – selbst dort, wo ich es nie für möglich halten würde.
„Streue Blumensamen! Wirf Lichter in die Nacht!“ – Sind Sie dabei???
Bleiben Sie behütet!
Ihre Gisela Fritsche
Den Song „Löwenzahn“ können Sie hören unter https://www.youtube.com/watch?v=cXrGT_aue0g